Bundesverfassungsgericht Afghane mit Aufnahmezusage klagt in Karlsruhe
Stand: 30.09.2025 05:11 Uhr
Einige Afghanen haben bereits Visa eingeklagt. Basis hierfür war ihre Visazusage über das Bundesaufnahmeprogramm. Doch es gab auch andere Programme, über deren Gültigkeit nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden soll.
In die Diskussion über die Umsetzung der Aufnahmeprogramme für Afghaninnen und Afghanen wird nun auch das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet. Der Kläger ist ein ehemaliger oberster afghanischer Richter.
Vor der Machtübernahme der Taliban verurteilte er Taliban-Mitglieder. Nach der Machtübernahme tauchte er unter, sein Vater wurde von einem ehemaligen Verurteilten ermordet. So schildert es die Gesellschaft für Freiheitsrechte, mit deren Unterstützung der Mann nun Verfassungsbeschwerde eingelegt hat. Das Ziel: ein vorläufiges Visum, um nach Deutschland einreisen zu können. Aus Angst vor den Taliban möchte er anonym bleiben.
Warten seit 2022
Der Mann, seine Frau und seine vier Kinder erhielten im Dezember 2022 von Deutschland eine Aufnahmezusage. Auf die Visa für die Einreise warten sie bis heute, obwohl die deutschen Behörden zwischenzeitlich festgestellt haben, dass keine Sicherheitsbedenken bestehen.
Das geht aus einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hervor, an das sich der Mann vor seiner Verfassungsbeschwerde erfolglos gewandt hatte.
Vier verschiedene Aufnahmeprogramme
Die Aufnahmezusage bekam der ehemalige Richter im Rahmen der sogenannten Überbrückungsliste. Es ist eines von vier Programmen, mit denen Deutschland besonders gefährdeten Personen zusagte, sie und ihre Familien aufzunehmen.
Gerichtet waren die Programme zunächst an Ortskräfte (Ortskräfteverfahren), dann aber auch an Menschen, die aufgrund ihrer früheren Tätigkeiten nach der Machtübernahme der Taliban besonders gefährdet waren – etwa weil sie für die gestürzte Regierung gearbeitet oder sich für Menschenrechte eingesetzt hatten (Überbrückungsliste, Menschenrechtsliste, Bundesaufnahmeprogramm).
Für Visaverfahren inklusive Sicherheitsüberprüfungen mussten sie nach Pakistan kommen, da Deutschland keine Botschaft in Afghanistan hat. Um die Ausreise und das Visaverfahren zu finanzieren, verkaufte der Kläger nach Angaben der Gesellschaft für Freiheitsrechte sein Haus und Eigentum.
Fast 2.000 Menschen warten noch auf Visa
Wie er und seine Familie warten dem Bundesinnenministerium zufolge noch etwa 1.910 Menschen in Pakistan auf ein Visum – davon gut 210 aus dem Ortskräfteverfahren, circa 60 von der Menschenrechtsliste, knapp 600 von der Überbrückungsliste und etwas mehr als 1.040 aus dem Bundesaufnahmeprogramm.
Sie sind in Gästehäusern in Islamabad untergebracht. Ursprünglich war die Gruppe etwas größer. Doch seit Mitte August hat Pakistan rund 250 Personen mit Aufnahmezusagen festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben.
Einige Klagen auf Visa-Erteilung
Mit Amtsantritt hat die schwarz-rote Koalition die Aufnahmeverfahren ausgesetzt. Daraufhin haben einige Betroffene auf Erteilung eines Visums geklagt. Erfolg hatten in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem Menschen mit einer Zusage nach dem Bundesaufnahmeprogramm. Rund 70 Personen konnten so einreisen.
Vor Gericht keinen abschließenden Erfolg hatten dagegen Menschen wie der ehemalige afghanische Richter, deren Zusagen auf eines der anderen Programme und damit auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt sind.
Keine verbindliche Zusage?
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte Ende August entschieden, dass er und seine Familie keinen Anspruch auf Visa haben. Anders als die Zusagen nach dem Bundesaufnahmeprogramm hätten die Zusagen, die sie bekommen haben, „bloß innerbehördlichen Charakter“. Ihnen sei lediglich von einer „nichtstaatlichen Organisation, der GIZ, per E-Mail“ mitgeteilt worden, das Bundesinnenministerium habe „die Bereitschaft zur Aufnahme“ erklärt.
Die GIZ – Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit – steht im alleinigen Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Sie kümmert sich im Auftrag der Bundesregierung vor Ort in Pakistan um die Menschen mit Aufnahmezusage.
Die Bundesregierung habe, so das Oberverwaltungsgericht weiter, in diesen Fällen ein weites politisches Ermessen – und könne überprüfen, ob sie weiterhin ein politisches Interesse an der Aufnahme habe. Nach dieser Argumentation wären auch die Aufnahmezusagen für Ortskräfte nicht verbindlich. Sie sind auf dieselbe Rechtsgrundlage gestützt.
Zufall, in welchem Programm?
„Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist denkbar knapp. Er geht überhaupt nicht auf den Vertrauensschutz ein und auch nicht auf die Gefahr für Leib und Leben für die Familie“, sagt Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Es sei außerdem Zufall gewesen, in welches Programm die Leute gekommen sind. „Im Zweifel wissen sie nur, dass sie eine Aufnahmezusage haben, aber nicht auf welcher Grundlage.“
Kläger beruft sich auf Vertrauensschutz
Vor dem Bundesverfassungsgericht beruft sich der Afghane nun auf Vertrauensschutz und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Er und seine Familie hätten im Vertrauen auf die Aufnahmezusage „alles aufgegeben“ und sich in die „Obhut“ der Bundesregierung begeben, argumentiert die Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Mit der Verfassungsbeschwerde solle geklärt werden, dass die Bundesregierung grundrechtlich verpflichtet sei, die erteilten Zusagen einzuhalten. Verbunden mit der Verfassungsbeschwerde ist auch ein Eilantrag. Eine Entscheidung könnte es innerhalb weniger Wochen geben, so die Einschätzung der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Geplant sei, auch „im Stich gelassene“ Ortskräfte bei Verfassungsbeschwerden zu unterstützen.