Billig, billiger, Temu. Es gibt derzeit kaum ein Unternehmen in der Shoppingwelt, das umstrittener ist als der Onlinemarktplatz aus China. Die Plattform ist berüchtigt für ihr schnelles Wachstum. Zugleich werfen Kritiker Temu und dem konkurrierenden Modeshop Shein wettbewerbsverzerrende Praktiken vor. Fest steht: Beide weisen in Deutschland beeindruckende Erfolge vor.
Temu erzielte 2024 ein sattes Wachstum von 285 Prozent, geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Onlinemarktplatz-Ranking des Kölner Handelsinstituts EHI hervor. Damit sind die Chinesen unter den fünf größten Onlinemarktplätzen in Deutschland vertreten. EHI-Onlinehandelsfachmann Lars Hofacker zeigte sich beeindruckt: „Damit wird sichtbar, wie schnell neue internationale Anbieter die Marktstruktur verändern und etablierte Plattformen herausfordern.“ Das Wachstum von Temu verdeutlicht aus seiner Sicht, wie stark der Wettbewerbsdruck im Onlinehandel steigt – und wie dynamisch sich die Marktverhältnisse verschieben.
Auch Shein konnte hierzulande Erfolge feiern und landete erstmals unter den zehn größten Marktplätzen: Mit einem Wachstum von fast 20 Prozent erreichte das Unternehmen mit Sitz in Singapur den achten Platz. Aliexpress gehörte schon 2023 zu den zehn größten Marktplätzen. Auch wenn die chinesische Plattform mit 26 Prozent nicht mehr so stark wachsen konnte wie im Vorjahr, rückte Aliexpress in der Rangliste um einen Platz nach vorne auf Rang sechs. Damit sind drei Onlinemarktplätze mit chinesischem Ursprung in den Top-10 vertreten.
Zahlreiche Vorwürfe
„Temu, Shein und Aliexpress sind nun wirklich im deutschen Onlinehandel angekommen und werden so schnell nicht mehr verschwinden“, sagt Jochen Krisch, Herausgeber des Branchenportals Exciting Commerce. Temu ist erst seit April 2023 in Deutschland aktiv und sieht sich ähnlich wie Shein zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt. Dazu gehören unter anderem: Zoll- und Steuertricks, mangelnde Produktsicherheit, fehlende Kennzeichnungen, Produktfälschungen und ausbeuterische Bedingungen in den Fabriken.
Die beiden Unternehmen sind schon seit Längerem im Visier der EU-Kommission, gegen Temu läuft ein förmliches Verfahren. Dabei geht es unter anderem um potenziell suchterzeugende Designs und den Umgang mit Händlern, welche die Regeln der EU missachten. Bislang lassen konkret umgesetzte Reformen aber auf sich warten. Sowohl Temu als auch Shein streiten die Vorwürfe vehement ab.
Auch Krisch kritisiert Temu und Shein für diese Praktiken. „Sie tragen nicht die Verantwortung für jeden Mitbewerber, der gerade zu kämpfen hat.“ Der Wettbewerb sei hart, aber die Lage sei auch für deutsche Unternehmen nicht aussichtslos. Unter den größten drei Onlinemarktplätzen konnte Otto auf Platz am stärksten mit neun Prozent zulegen. Platz eins in der Rangliste erreichte Amazon, gefolgt von ebay auf Platz zwei.
„Der Onlinehandel ist wieder auf Wachstumskurs“
Insgesamt erholte sich der Onlinehandel in Deutschland wieder. Auf den Online-Boom in der Corona-Pandemie folgte ein Tief 2023. Das EHI vermeldete für das Jahr 2024 ein Wachstum von real drei Prozent. Real bedeutet hierbei ohne Retouren und ohne Mehrwertsteuer. Demnach steigerten die Onlineshops ihre Umsätze auf etwa 80 Milliarden Euro. In seiner Analyse bildet das EHI lediglich die 1.000 größten Onlineshops ab und lässt jene außen vor, die Umsätze überwiegend oder vollständig über Apps generieren. Der deutsche Handelsverband (HDE) und das Kölner Handelsinstitut IFH rechneten für das Jahr 2024 mit einem Wachstum von 3,8 Prozent auf fast 89 Milliarden Euro.
Unabhängig von der Berechnungsweise ist für Alexander Graf klar: „Der Onlinehandel ist wieder auf Wachstumskurs“, sagt der langjährige Onlinehandelsfachmann, der in der Vergangenheit unter anderem für die Otto-Gruppe arbeitete. Die EHI-Prognose für die nominale Steigerung von 5,3 Prozent für 2025 hält der Ko-Geschäftsführer des Softwareunternehmens Spryker für realistisch. Branchenfachmann Krisch sieht das ähnlich.
Graf ist davon überzeugt, dass sich noch ein weiteres Unternehmen aus China unter die zehn größten Onlineshops positionieren wird: Tiktok. Bisher als Videoplattform bekannt, starten die Chinesen im März auch in Deutschland ihre Shopping-Funktion. Dabei können Nutzer unter anderem direkt über die Videos Käufe abschließen. „Frühestens 2026 könnte Tiktok Shop zu den fünf größten Marktplätzen gehören“, prophezeit Graf.